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„Die Große Roggenburgerin“ - Hauptorgel der Klosterkirche

Die „Große Roggenburgerin" - so wird die Hauptorgel der Pfarr- und Klosterkirche Mariä Himmelfahrt in Roggenburg/Bayerisch Schwaben im Volksmund liebevoll genannt. Diese Bezeichnung trägt das Instrument vor allem wegen seines genial imposanten Prospekts, den Hermann Fischer und Theodor Wohnhaas als den „wohl elegantesten Orgelprospekt Süddeutschlands" bezeichnen. Dieses beinahe wie ein großer Altar wirkende Orgelgehäuse barg im Laufe der vergangenen ca. 250 Jahre seit seiner Entstehung immer wieder stilistisch ganz unterschiedlich konzipierte Orgelwerke.

Das erste Instrument in dem mächtigen von der Türkheimer Altarschreinerfamilie der Bergmüller errichteten Orgelprospekt wurde 1761, drei Jahre nach Vollendung des Kirchenbaus, von dem Ulmer Orgelbauer Georg Friedrich Schmahl (1700-1773) fertig gestellt. Schmahl entstammte einer weit verzweigten, ursprünglich mitteldeutschen Orgelbauerfamilie. 1731 ließ er sich in Ulm nieder und errichtete dort seine Werkstätte. 43 Orgeln in- und außerhalb Schwabens hat Schmahl errichtet. Seine größten Projekte waren die Neugestaltung der Orgel des Ulmer Münsters 1735 und eben der Neubau der Orgel zu Roggenburg. Leider haben nur wenige kleinere Schmahl-Orgeln die Zeit überdauert. Diese lassen kaum mehr einen Rückschluss auf die Klanggestalt -seiner Großinstrumente in Ulm und Roggenburg zu. Letztere umfasste die für das 18. Jahrhundert beachtliche Zahl von 43 Registern, verteilt auf drei Manuale und Pedal. Sie gehörte damit zu einer Reihe bedeutender Monumentalorgeln, die im 18. Jahrhundert in Oberschwaben von Klöstern und Stiften erbaut worden sind wie z.B. Marchtal, Neresheim, Ochsenhausen, Ottobeuren, Weingarten, Weissenau und Ursberg.
 
Wie Forschungen der Autoren Ratte und Höflacher ergaben, wurde die Roggenburger Schmahl-Orgel bereits Ende des 18. Jh. mit hoher Wahrscheinlichkeit von dem Ottobeurer Orgelbauer Johann Nepomuk Holzhey entscheidend verändert. Holzhey beließ zwar die Windladen und die Anzahl der Registerzüge, doch disponierte er die Orgel völlig um. War die Orgel von Schmahl stilmäßig stark süddeutsch geprägt (viele Labialstimmen, wenig Zungenstimmen), so formte sie die Neukonzeption Holzheys eher französisch (Vermehrung der Zungenstimmen, neue Funktionen der verschiedenen Werke im Gesamtkonzept der Orgel).
 
1802 wurde das Prämonstratenser-Reichsstift Roggenburg im Zuge der Säkularisation aufgehoben. Die Klosterkirche wurde 1805 Pfarrkirche. Über die Orgel finden sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts keine Nachrichten. Eine im Jahre 1848 erstellte Aufzeichnung der Disposition dürfte noch den durch Holzhey geschaffenen Zustand wiedergeben. 1863 nahm der Münchner Orgelbauer Max Maerz wenige kleinere Eingriffe an dem Instrument vor. Er lobte das Instrument als Werk eines ausgezeichneten Meisters, das sogar der weltberühmten Orgel zu Ottobeuren den Rang streitig machen könne.
 
Ganz anders beurteilte 40 Jahre später der kgl. Orgelsachverständige Karl Deigendesch aus Lauingen das Orgelwerk als veraltet, unbrauchbar und ruinös. Er empfahl einen Neubau nach den damals gültigen Prinzipien. 1905 wurde daraufhin ein neues Instrument von der Orgelbauwerkstatt Gebr. Hindelang / Ebenhofen errichtet. Die Orgel umfasste zwei Manuale und Pedal, auf die sich 31 Register verteilten, wobei keine Stimme des barocken Instruments übernommen wurde. Das Traktursystem wurde als pneumatische Kegellade ausgeführt, die Klangkonzeption folgte den Prinzipien der deutschen Spätromantik.
 
1955/56 wiederum wurde die Hindelang-Orgel unter Verwendung einiger Register nach Plänen von Rudolf Quoika und Arthur Piechler durch ein neues der Firma Nenninger aus München ersetzt. Es repräsentierte die neobarocke Klangvorstellung der Orgelbewegung. Die 51 Register dieser Orgel verteilten sich nun auf vier Manuale und Pedal.
In den Jahren 1978-1985 wurde die Klosterkirche Roggenburg einer grundlegenden Renovierung unterzogen. In diesem Zusammenhang stellte sich auch die Frage einer Reinigung der Orgel von 1956. Bei Untersuchungen des Werkes präsentierte sich dieses aber in einem Zustand, der eine technische und klangliche Neugestaltung der ganzen Orgel als dringend wünschenswert erscheinen ließ. Nachdem der zuständige Orgelsachverständige Prof. Dr. Gert Völkl, Augsburg, diesen Gedanken konsequent unterstützte, konnte in Zusammenarbeit aller Verantwortlichen ein entsprechendes Umbaukonzept für die Roggenburger Orgel erarbeitet werden. Die Ausführung der Arbeiten übernahm in den Jahren 1984-86 die Orgelbauwerkstätte Gerhard Schmid in Kaufbeuren.
 
Die Neugestaltung der großen Roggenburger Orgel durch die Werkstätte Schmid gliederte sich in einen technischen und in einen klanglichen Teil. Der technische Teil umfasste den Neubau einer mechanischen Traktur Die vorhandenen Windladen wurden umgebaut und mit neuen Ventilen, Windkästen und Schleifendichtungen versehen. Die Registerzugapparate wurden überholt. Die ganze Windversorgung der Orgel wurde neu gebaut. Die Windladen sind so versetzt worden dass das ganze Orgelwerk sich wieder innerhalb des Orgelgehäuses befindet. Das Gehäuse wurde stabilisiert, repariert und gegen Holzwurm konserviert sowie rückseitig verschlossen, mit Türen, Füllungen und Dächern versehen. Schließlich wurde das Pfeifenwerk neu auf den Windladen aufgebaut.
 
Der klangliche Bereich umfasste vor allem eine Neuintonation des ganzen Werkes: die vorhandenen Register von 1905 und 1956 wurden nach gründlicher Umarbeitung mit neuen Registern zu einem Dispositionsaufbau verbunden. Außerdem wurden die Prospektpfeifen der einzelnen Werke mittels zusätzlicher Schleifen wieder klingend gemacht, so dass der Prospekt heute 213 klingende Pfeifen umfasst.
 
Das Ergebnis dieses Umbaus ist ein vielseitiges Instrument, dem es gelingt, den weiten und hohen Raum der Klosterkirche klanglich gut auszufüllen. In zahlreichen Orgelkonzerten, die seit 1986 regelmäßig vom Verein der Freunde des Klosters Roggenburg e.V. mit prominenten Organisten aus dem In- und Ausland veranstaltet werden, hat es sich gezeigt, dass die Roggenburger Orgel für die Darstellung romantischer und symphonischer Orgelliteratur besonders gut geeignet ist.
 
Aus dieser Erfahrung heraus wurden von den Orgelbaumeistern Markus Riefle (+) und Stefan Heiß sowie den Orgelintonateuren Martin Geßner und Stefan Niebler zwischen 1996 und 2008 verschiedene Modifikationen im technischen und klanglichen Bereich vorgenommen, um die Möglichkeiten für die Darstellung von Orgelmusik des 19. und 20. Jahrhunderts zu erweitern, ohne das vorhandene barocke Klangspektrum einzuschränken. Dabei wurden u. a. charmante Flötenstimmen und eine kräftige Trompeteria eingebaut.
 
Im Jahre 2008 ermöglichte eine großzügige Spende von Josef Kränzle / Illertissen zum 250. Weihejubiläum der Klosterkirche Roggenburg den Einbau eines neuen fünfmanualigen Spieltisches. Er wurde in das Untergehäuse des Orgelprospekts als sog. angebaute Spielanlage in Anlehnung an das historische Vorbild der ursprünglichen Orgel von Georg Friedrich Schmahl aus dem Jahr 1760 eingebaut.
 
Planung und Einbau des Spieltisches erfolgten durch die Orgelbauwerkstatt Stefan Heiß / Vöhringen in Zusammenarbeit mit P. Stefan Kling, Kirchenmusiker der Klosterkirche Roggenburg und Orgelsachverständiger der Diözese Augsburg. Die neue Spielanlage konnte an die vorhandene Spiel- und Registertraktur angeschlossen werden und bietet nun den Organisten einen sehr hohen Komfort durch ergonomisch dimensionierte Klaviaturen, eine elektronische Setzeranlage mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Speicherung von Registrierungen, ein dreifaches Registercrescendo sowie die Erweiterung des Klangfarbenspektrums durch die elektrische Anbindung der 2005 hinter dem Tabernakel des Hochaltars aufgestellten Chororgel der Klosterkirche als Fernwerk.
 
Pater Stefan Ulrich Kling O.Praem.
 
Literatur:
Georg Brenninger: Orgeln in Schwaben, München 1986. Hermann Fischer und Theodor Wohnhaas: Historische Orgeln in Schwaben, München-Zürich 1982.
Ulrich Höflacher: Johann Nepomuk Holzheys Leistung im süddeutschen Orgelbau in: Acta organologica Bd.24, Kassel 1995.
Kath. Pfarramt Roggenburg (Hrsg.): Die Orgel der Pfarr-und Klosterkirche Roggenburg, Weißenhorn 1986.
Rudolf Quoika: Roggenburger Orgelbüchlein, Roggenburg 1956. Franz-Josef Ratte: Die Orgel in Roggenburg und ihr Erbauer Georg Friedrich Schmahl in: Winfried Schlepphorst (Hrsg.): Orgelkunst und Orgelforschung, Kassel 1990.